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Psychische Probleme bei Kindern -Problembeschreibung der Praxis taktik in Innsbruck

Seit nunmehr längerer Zeit zeigt sich deutlich die Tendenz, dass eine zunehmende Zahl von Schüler*innen bereits im Vor- und Volksschulalter auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Die Lehrer*innen und Eltern vieler Kinder sind z.B. mit Leistungs-/Verweigerung und teilweise hoher Aggressionsbereitschaft der Kinder konfrontiert.

Heute wissen wir, dass viele dieser Schwierigkeiten bei genauerem Hinsehen auf sozial-emotionale Defizite zurückzuführen sind. Zumeist treten die Probleme vor allem dann auf, wenn an das Kind konkrete Forderungen nach Leistung und Anpassung an soziale Normen und Regeln herangetragen werden. Dabei ist die soziale Situation der Kinder und ihrer Bezugspersonen oftmals geprägt durch jahrelange außergewöhnliche Belastungen sowohl im emotionalen wie auch im existenziellen Bereich – z.B. durch häufige Verluste von Bezugspersonen und mehrmalige Um- und Übersiedlungen, was wiederum zur Folge hat, dass die Familien in ihrem sozialen Umfeld kaum integriert sind (vielfach prägen diese Faktoren auch die Biographien der Mütter/Väter der Kinder). Hinzu kommt nicht selten eine ablehnende Haltung gegenüber Unterstützungsangeboten von außen.

Die Schwierigkeit, sich im sozialen Gefüge zurechtzufinden

Es handelt sich also zumeist weniger um Mängel von "intellektueller" Natur im Sinne von Begabungsmängeln als vielmehr um Schwierigkeiten, sich im sozialen Gefüge zurechtzufinden bzw. sich in dieses integrieren zu können. Ein solcher Mangel an sozialer Kompetenz drängt die betreffenden Kinder sehr oft in die Rolle von Außenseitern.

Diesen dann als "verhaltensauffällig" bezeichneten Kindern kann oft nur mehr sehr wenig Verständnis entgegengebracht werden, was die gesamte Problematik verschärft. Dieser sich verselbstständigende Mechanismus führt im Weiteren dazu, dass die Situation für das Kind selbst als auch für dessen Bezugspersonen immer auswegloser wird. Einmal in diesem Teufelskreis gefangen, werden die Kinder in zunehmendem Maße überfordert.

Die Beantwortung der Forderungen seitens der Eltern und der Gesellschaft kann oft nur mehr in tiefem Misstrauen mit Nichtanerkennung der "dem Gemeinwohl dienenden Regeln" erfolgen. Resignation, Aggression und Dissozialität greifen Platz und bald gibt es keinen Ort mehr, wo sich das Kind wohl und geborgen, angenommen und verstanden fühlen kann. Der Weg in endgültiges Schulversagen, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Sucht und Kriminalität ist vorgezeichnet ...

"umschriebene Entwicklungsstörungen" (Teilleistungsschwächen) und "verhaltensauffällige Kinder"

In einem ähnlichen Teufelskreis befinden sich Kinder mit "umschriebenen Entwicklungs­störungen" (Teilleistungsschwächen), denn sie lassen sich nur schwer von "verhaltensauffälligen Kindern" unterscheiden. Kinder – zum Beispiel – mit akustischer Teilleistungsschwäche erscheinen als unfolgsam und unverbesserlich und werden von ihren Bezugspersonen gerügt, beschimpft und bestraft, denn "wer nicht hören will, muss fühlen". Diese Kinder zeigen häufig zu Beginn des Schulalters (noch) keine Auffälligkeiten im kinderpsychiatrischen Sinn, stellen aber eine Risikogruppe für die Entwicklung späterer sekundärer Beziehungs-, Leistungs-, neurotischer und dissozialer Störungen dar.

Nicht zuletzt werden selbst bei der Genese schizophrener Störungen und anderen schweren psychiatrischen Erkrankun­gen Teilleistungsschwächen als Vulnerabilitätsfaktoren hervorgehoben (LEMPP, 1990). Wenn man bedenkt, welcher permanenten Überforderung solche Kinder (und Jugendliche) tagein, tagaus im sozialen wie auch im Leistungsbereich ausgeliefert sind, wird verständlich, warum sie sich zunehmend verschließen, mit Resignation und oft nur mehr mit Aggression reagieren.

Tatsächlich ist es ihnen aber bei aller Mühe unmöglich, die für sie geltende und wichtige Information aus dem Gesamtkontext aller akustischen Informationen herauszuhören bzw. "herauszufiltern". So kann ein Kind mit akustischer Teilleistungsschwäche beispielsweise neben dem Magenknurren des Banknachbarn, den vor den Fenstern vorbeifahrenden Autos, dem Surren der Neonröhren im Klassenzimmer, dem Kratzen der Kreide an der Tafel, dem Geschwätz anderer Schüler usw. erst den Lehrer hören, wenn dieser mit Gebrüll alles andere übertönt.

Nicht selten richtet sich noch dazu die Aggression "der ganzen Klasse" auf ebendiese Schülerin oder ebendiesen Schüler. Im Sinne der psychischen Homöostase des Kindes wird es notwendig, sich "von all dem" abzuwenden. Das Interesse an Umwelt und Mitmenschen "ermüdet". Die Kinder schotten sich ab, leben "für sich" und werden unerreichbar bzw. so etwas wie „verhaltensauffällig“.

Ähnliches gilt für andere Entwicklungsstörungen.

Erziehungsberechtigte

Dass solche Schwierigkeiten des Kindes im Kindergarten oder in der Schule wiederum das Klima im Elternhaus zunehmend trüben – was Bestandteil dieses Teufelskreises ist – liegt auf der Hand. Auch den Erziehungsberechtigten droht zumeist die Situation über den Kopf zu wachsen. Schon am frühen Morgen geht "das Theater los", wenn das Kind vehement seine Unlust, in den Kindergarten oder zur Schule zu gehen, kundtut oder etwa gar nicht zur Schule gehen will. Von den Kindergärtnerinnen oder Lehrerinnen hören die Eltern/Erziehungsberechtigten oft nur Klagen über Benehmen und Leistung oder Berichte darüber, wie schwer sich das Kind tut.

Des Öfteren bekommen die Eltern/Erziehungsberechtigten Ratschläge für "eine richtige Erziehung" und für konsequentes Verhalten. Wahrscheinlich haben jene Eltern/Erziehungsberechtigten all das schon von den eigenen Eltern, vom Ehepartner, von Freunden und Bekannten, von der Erziehungsberatungsstelle usw. gehört. Vielfach spiegelt aber genau diese Dynamik Konflikte zwischen der Großelterngeneration und der Elterngeneration wider, die durch das schwierige Kind in der Paarbeziehung der Eltern aktualisiert werden.

in der Zwickmühle

So wird den Eltern/Erziehungsberechtigten immer wieder gesagt: "Du musst konsequenter sein!" und meint damit aber auch "Es mangelt dir/Ihnen an ...". Im Sinne eines Verdrängungsprozesses werden sich die betreffenden Eltern/Erziehungsberechtigten distanzieren, ändern wird sich aber auch nicht viel. Somit haben wir aber das Problem, dass es für die Eltern/Erziehungsberechtigten äußerst schwierig wird, überhaupt noch nach Unterstützung Ausschau zu halten, geschweige denn diese auch in Anspruch zu nehmen.

Nicht nur die Kinder, sondern auch deren Eltern/Erziehungsberechtigten gelangen in die Zwickmühle und vor allem das Thema Schule kann damit zum täglichen Spießrutenlauf werden. Oft kommt das Kind erschöpft von der Schule nach Hause, ist vielleicht nervös und aggressionsgeladen und/oder entmutigt und deprimiert.

Und dann – Hausübung!? Eine tägliche Marathonbeschäftigung mit dem Kind. Ist das Ringen um die Erledigung der Hausübungen zu Ende, dann bleibt kaum noch freie Zeit übrig. Dem Kind fehlt dann häufig sinnvolles Spiel und aktive Freizeitgestaltung.

Kindergärtnerin, Lehrerinnen und Lehrer

Naturgemäß sind von dieser Problematik sehr stark Kindergärtnerin, Lehrerinnen und Lehrer betroffen, welche immer wieder berichten, dass in Gruppen/Klassen, mit denen sie sehr gut zurechtkämen, ein "verhaltensauffälliges" Kind genügt, um alles über den Haufen zu werfen. Den Betreuungs- und Lehrkräften ist zumeist bewusst, dass diese Kinder nicht "dumm" sind, sondern manchmal ganz im Gegenteil als sehr intelligent erscheinen – was zumeist durch testpsychologische Untersuchungen bestätigt werden kann.

Unweigerlich kommen Kindergärtnerin oder Lehrerinnen und Lehrer in einen Gewissenskonflikt. Viele von ihnen geben sich große Mühe, um dem Kind näherzukommen und bemerken oftmals, wie anlehnungsbedürftig, aber abgesondert diese Kinder sind. So manche Kindergärtnerin oder Lehrkraft setzt nun alles daran zu vermeiden, dass das betreffende Kind aus der bestehenden Gemeinschaft „herausfällt“, in die Sonderschule, in ein Sonderschulinternat oder in ein Heim "abgesondert" wird.

Nur muss bald bemerkt werden, wie sehr die Gemeinschaft und deren Ansprüche ins Hintertreffen geraten, wenn ein einzelnes Kind so viel Aufmerksamkeit und Zuwendung braucht, denn der Rest der Gruppe/Klasse droht damit im Chaos zu versinken. "Vernachlässigt" die Kindergärtnerin, die Lehrerin oder der Lehrer das Kind aber wieder, versinkt ebenso die ganze Klasse im Chaos.

professioneller Vermittler

Wann solches Unterfangen über die Grenzen der Kräfte der Kindergärtnerin oder Lehrpersonen geht, ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Im Normalfall wird versucht, baldmöglichst mit den Eltern/ Erziehungsberechtigten in Kontakt bzw. ins Gespräch zu kommen, häufig aber muss erfolglos resigniert werden. Entweder finden die Gespräche nicht statt oder verlaufen ohne wesentliche Auswirkung.

Ohne die aktive Kooperation der Eltern/Erziehungsberechtigten fühlen sich wiederum die Kindergärtnerin/Lehrkräfte im Stich gelassen und es besteht die Gefahr, dass Schwierigkeiten mit dem Kind auf einer emotionalen, persönlichen Ebene ausgetragen werden.

Spätestens in einer kritischen Phase wie dieser könnte ein professioneller Vermittler für alle Beteiligten hilfreich sein. Nur hängt dies auch wesentlich davon ab, wie hoch die Schwelle ist, einen solchen Vermittler in Anspruch zu nehmen. V.a. die finanzielle Belastung ist es, welche für viele Eltern eine Inanspruchnahme verunmöglicht.